Die Heimat verlassen und eine neue gefunden - bei uns in der Spvgg Rommelshausen

Die packende Geschichte von fast 74 Jahren Vereinsmitgliedschaft unseres Schorsch Kritzer

Normalerweise ist es nicht unsere Intension Euch mit epischer Textlänge „abzustrafen“. Doch wir berichten heute – er möge uns die Formulierung nachsehen - von einem „Urgestein“ der Sportvereinigung. Aufgrund seines Lebensalters und der Fülle die es über ihn zu erzählen gibt, versteht es sich von selbst, dass dies nicht vollumfänglich in einen kurzen Text gepackt werden kann. Wer ihn also kennt oder mal kennenlernen möchte liest weiter – es lohnt sich.

 

Es gibt Tage, da fragt man sich schon, warum man sich ein Ehrenamt „antut“. Es wird keiner widersprechen, dass es spannenderes gibt, als sich in seiner Freizeit beispielsweise mit DSGVO-Bestimmungen, Corona-Verordnungen oder Etatplanungen rumzuschlagen. Und dann gibt es sie, die Momente oder Begegnungen, die einem ganz klar vor Augen führen, warum man das alles macht. Eine solche Begegnung wurde mir zuteil, als ich zusammen mit Vorstandskollege Roland Etzkorn eines unserer langjährigsten noch aktiven Vereinsmitglieder besuchte. Anlässlich des letzten Monats begangenen 90. Geburtstages waren wir zu Gast bei Sportskamerad GEORG KRITZER.

                                   

„Schorsch“ - wie ihn nicht nur „seine“ Leichtathleten nennen - ist bereits seit über 73 Jahren Mitglied unseres Sportvereins. Wer aber denkt, er wird von einem alten Mann empfangen ist schief gewickelt. Schon beim Öffnen der Eingangstüre strahlt uns so viel Lebensfreude und Optimismus entgegen, dass man – würden wir ihn nicht kennen – sich ernsthaft fragen müsste, ob man hier tatsächlich jemanden vor sich hat der bereits zum neunten Mal seinen 10. Geburtstag feiert.

Dabei hat auch er alles andere als einfache Zeiten durchlebt. Geboren in Ungarn sind die damaligen Ungarn-Deutschen nach dem Krieg mit einem Mal in ihrer eigenen Heimat nicht mehr „erwünscht“, so dass er - wie rund 750 weitere Familien seiner Dorfgemeinschaft - das Land verlassen muss und nach Deutschland vertrieben wird. Mit sehr wenig Hab und Gut, aber einer gesunden Portion Optimismus findet er schließlich in Rommelshausen eine neue Heimat.

Schnell ist der athletische junge Mann auch sportlich aktiv. Nach einer kurzen Zeit in der Fußball-C-Jugend und beim Turnen ist Schorsch Teil der Musterriege. Wer sich jetzt Männer in gestreiften Turnanzügen - die mehr oder weniger ernsthafte Turnübungen vorführen - vorstellt, hat wie ich keine Ahnung was die Musterriege war. Schorsch klärt uns mit seinem verschmitzten Grinsen gerne auf. Die Mitglieder der Musterriege waren Schwerathleten, sozusagen die Vorgänger des Rasenkraftsports. Mit 10 kg schweren Kugelhanteln wurde geschwungen und jongliert. Es gab Pflicht- und Kürübungen sowie Riegen- und Einzelwettbewerbe. Recherchiert man etwas dazu im Internet stellt man fest, dass die Spvgg Rommelhausen vor dem 2.Weltkrieg 3 Mal den Deutschen Meister in einer Gewichtsklasse stellte sowie ein weiteres Mal kurz nach dem Krieg. Sachen gibt`s!

Unser Schorsch findet jedoch schnell seine Passion als Leichtathlet. Beim Richtfest unserer Sporthalle in der Kelterstraße füllt er 1949 die Mitgliedskarte aus. Doch Schorsch ist nicht einfach nur Vereinsmitglied und kommt, um sich ein bisschen fit zu halten. Er lebt seine Mitgliedschaft. Er engagiert sich von Beginn an für seinen Verein, setzt seine vielseitigen handwerklichen und organisatorischen Talente ein und wirkt mit viel Sachverstand und Herzblut stolze 50 Jahre in verschiedenen Funktionen im Ausschuss der Leichtathleten. Vom Abteilungsleiter, Stellvertreter, Kassier, Kameradschaftswart bis zum Kampfrichterobmann ist alles dabei, teilweise übt er sogar mehrere Ämter zeitgleich aus. Hinzu kommen weitere 18 Jahre Trainertätigkeit. Somit verleiht er der Leichtathletikabteilung ein Gesicht und trägt maßgeblich zu ihrer Entwicklung und ihrem Erfolg bei. Jahrzehntelang geht kaum ein Sportfest, ein Wettkampf oder eine Laufveranstaltung ohne ihn über die Bühne. Als wir über die Römer Kirbe sprechen, und er Bilder von sich beim Fassanstich des Römer Weinfässles im Kirbezelt zeigt, stelle ich die rhetorische Frage, ob er dabei auch immer im Einsatz war. Er lacht und meint bescheiden: „Ja gut, es war üblich, dass ich da immer eine Woche Urlaub gebraucht hab“.

Wie geht sowas? Klar ist: Neben der Eigenmotivation und Begeisterung für die Sache, ist es auch die Familie, die hier mit auf Kurs sein muss. Und das war bei Kritzers immer mehr als gegeben. Seine inzwischen leider bereits verstorbene Frau, hat nicht nur sein Engagement geduldet. Sie stärkte ihm den Rücken, ließ sich anstecken, zog mit ihm an einem Strang und packte selbst tatkräftig mit an: ob sie backte, für die Kirbe kochte oder sich sonst überall da einbrachte, wo eine helfende Hand gebraucht wurde. Noch ein bisschen mehr als bei den Erzählungen über seine Leichtathleten strahlen daher seine wachen Augen als er von „seiner Theres“ erzählt. Er hat sie nicht gesucht und doch gefunden und wusste bereits von der ersten Begegnung an, dass sie die Richtige ist. Fast 65 Jahre Ehe war den beiden gemeinsam vergönnt. Auch das ist bewundernswert.

Als Schorsch nach einem halben Jahrhundert im Ausschuss seiner Leichtathleten für die jüngere Generation Platz macht, setzt er sich aber keineswegs zur Ruhe, sondern bringt sich im Anschluss daran und bis heute seit nun schon über 17 Jahren bei der Seniorenabteilung ein. Als zu Beginn dieser Zeit deren Sprecher nach wenigen Wochen sein Amt niederlegt, ist es Schorsch der einspringt, sich ab der nächsten Wahl aber wieder in die zweite Reihe stellt. Er muss nicht ganz vorne dran stehen, wirkt lieber im Hintergrund. Unzählige Ausflüge wurden von ihm mitorganisiert und durchgeführt.

Überhaupt ist er bescheiden. War schon immer einer der nicht zu viel redet, sondern eher zupackt. Er sieht was gemacht werden muss und packt die Dinge an. Doch auch sein Talent als Redner wird vielfach nachgefragt, wenn er beispielsweise gebeten wird unzählige Nachrufe auf den Trauerfeiern der Sportskameraden zu halten. Auch das gehört dazu.

Seine vier Wände sind wie ein kleines Museum, mit den vielen Bildern und Fotos an der Wand, zu denen er mit einem bemerkenswerten Erinnerungsvermögen, Jahreszahlen, Namen und Anekdoten kennt. Wenn wir uns hier umschauen wird deutlich, welchen Stellenwert nicht nur er für den Verein hat, sondern auch der Sportverein seit jeher in seinem Leben hatte. Und daher ist es auch nicht verwunderlich, welche Antwort auf die Frage kommt, was einen dazu antreibt über Jahrzehnte unfassbar viele Stunden in sein Ehrenamt im Verein zu stecken. Es ist so eine lange aktive Zeit, dass mir kurz durch den Kopf schießt, dass dies nicht nur im übertragenen Sinne unbezahlbar ist, sondern auch im ganz wörtlichen Sinne.

Es ist die Kameradschaft, die Gemeinschaft, die Freude am gemeinsamen Sport und das Miteinander, aus dem langjährige, wertvolle Freundschaften entstanden sind. Das hat ihm eine Heimat gegeben. Hat ihn verwurzelt, ihn bereichert und erfüllt. Und was ganz unverkennbar ist: es hat ihn jung gehalten.

Schorsch ist im Herzen ein junger Mann, den sich manch halb so alter Zeitgenosse zum Vorbild nehmen könnte: noch heute dreht er jeden Freitag im Stadion bei den Leichtathleten seine Runden, und fachsimpelt im Anschluss beim Stammtisch über Vergangenes und Aktuelles. Er führt seit Gründung eine handschriftliche Chronik, die dokumentiert, welche Personen in welchen Zeiträumen welches Amt in der Leichtathletikabteilung innehatten und noch haben. Einmal wöchentlich ist er in unserem SPORTPUNKT im Rehasport aktiv und jeden Sonntag geht er 1-2 Stunden joggen bzw. walken.

Wir ziehen den Hut und können ihm nicht genug danken, für all das was er für unsere Sportvereinigung geleistet hat. Wir wünschen ihm noch einige unbeschwerte Jahre voller Gesundheit und hoffen, er kann sich weiterhin den zuversichtlichen Optimismus erhalten, den er in über 2 Stunden Gespräch auf uns ausgestrahlt hat.

Menschen wie er sind in unserer großen Sportgemeinschaft Vorbild, Ansporn und Inspiration.

Danke Schorsch Kritzer!

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